Die Pille killt nicht
Trotz der alles dominierenden Finanzkrise rückte in den letzten Wochen des US-Präsidentschaftswahlkampfes der amerikanische Wertestreit einmal mehr in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Doch selbst ausgewiesenen USA-Kennern unter den Europäern scheint entgangen zu sein, dass die Sozialkonservativen in Washington darin eine weitere Front eröffnet haben - eine Anti-Verhütungsoffensive, die inzwischen immer offener ausgefochten wird. Unter dem Motto "The Pill Kills" führen die Verhütungsgegner eine PR-Kampagne, die darauf abzielt, Verhütung im öffentlichen Bewusstsein mit Abtreibung gleichzusetzen. Weite Teile der US-Politik haben sich dem Feldzug gegen die Verhütung längst angeschlossen. So hat die Bush-Regierung dreistellige Millionenbeträge in unwirksame Aufklärungsprogramme gesteckt, die exklusiv die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe lehren und Verhütung gezielt diskreditieren.
Der Europäer mag angesichts dieser scheinbar innenpolitischen Fragen mit den Schultern zucken. Grund zur Beunruhigung sind jedoch die Auswirkungen dieser Anti-Verhütungskampagne auf die US-Beiträge zu internationalen Familienplanungsprogrammen, die seit ihrem Höchststand unter Clinton 1995 um real 39 Prozent auf 461 Millionen Dollar im laufenden Haushaltsjahr gesunken sind. Doch die Frage der Finanzierung ist nur ein Teil des Problems. Konservative anderer Länder - von den Philippinen über Afrika bis nach Lateinamerika - haben bereits damit begonnen, nach dem Vorbild ihrer US-Kollegen Familienplanungsprogramme gezielt zu untergraben, indem sie Verhütung mit Abtreibung in einen Topf werfen. Geflissentlich ignoriert werden dabei die Ergebnisse einer aktuellen Studie der Weltgesundheitsorganisation und des Guttmacher-Instituts von 2007, nach der jene Länder, in denen am häufigsten verhütet wird, zugleich die niedrigsten Abtreibungsquoten aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist ein entschlossenes Handeln der europäischen Regierungen und Hilfsorganisationen gefragt. Mit einer Aufstockung der eigenen Hilfsgelder ist es freilich nicht getan. Ebenso wichtig ist die Schaffung eines ideologischen Gegengewichts zu den sozialkonservativen Kreisen in US-Regierung und Kongress, die ihre Anti-Verhütungsideologie immer unverblümter in die internationale Entwicklungshilfezusammenarbeit hineintragen. Als zweitgrößtes Geberland hinter den USA muss vor allem Deutschland hier Führungsstärke zeigen - zum Wohle und zum Schutz der schwächsten Frauen und Familien in aller Welt.
Die Autorin leitet das Guttmacher Institute für sexuelle und reproduktive Gesundheit in New York und Washington.